Yannick Nézet-Séguin dirigiert Debussy und Prokofjew
Sergej Prokofjews Fünfte Symphonie markiert den Höhepunkt dieses Konzerts mit Yannick Nézet-Séguin. Überwältigend und plastisch ist dieses Werk, dazu »lebt in seinen Melodien die Urwüchsigkeit des russischen Liedes« (A. Chatschaturjan). Zu Beginn dirigiert der Frankokanadier Nézet-Séguin französisches Repertoire: Maurice Ravels charmantes Menuet antique und Claude Debussys schillerndes La Mer – ein Meisterwerk des musikalischen Impressionismus.
Mit Musik französischer und sowjetischer Komponisten gab der 1975 im kanadischen Montreal geborene Yannick Nézet-Séguin im Oktober 2010 sein von Presse und Publikum gleichermaßen umjubeltes Debüt am Dirigentenpult der Berliner Philharmoniker: Werke von Hector Berlioz, Olivier Messiaen und Sergej Prokofjew standen damals auf dem Programm. Einen ähnlichen Weg beschreitet Nézet-Séguin, der nicht nur dem Philadelphia Orchestra und dem Rotterdams Philharmonisch Orkest vorsteht, sondern ab September 2018 auch die Geschicke der New Yorker Metropolitan Opera in seine Hände nehmen wird, in diesen Konzerten.
In der ersten Programmhälfte ist ein Schlüsselwerk des französischen Impressionismus zu erleben: La Mer von Claude Debussy. Die von ihrem Komponisten als »drei symphonische Skizzen« bezeichnete Partitur reflektiert in allen nur denkbaren orchestralen Farben Natureindrücke, die Debussy u. a. während eines Ferienaufenthalts auf der englischen Seite des Ärmelkanals gesammelt hatte. 1905 in Eastbourne vollendet und im selben Jahr in Paris vom Orchestre Lamoureux unter der musikalischen Leitung von Camille Chevillard uraufgeführt, zählt La Mer auch deshalb zu den Meisterwerken des Impressionismus, weil die Partitur trotz ihrer bildlichen Satzüberschriften auf raffinierte Art und Weise im Grenzbereich von Programmmusik und absoluter Symphonik angesiedelt ist.
Den Gegenpol zu den schillernden Klangfarben Debussys bildet in diesen Konzerten eine Komposition, die den ästhetischen Maximen des sogenannten »Sozialistischen Realismus« verpflichtet ist: Sergej Prokofjews am 13. Januar 1945 in Moskau aus der Taufe gehobene Fünfte Symphonie. Dieses Werk bedeutete nicht nur die Rückkehr seines Komponisten zur symphonischen Form nach fast 15 Jahren, sondern trug Prokofjew auch den Stalinpreis Erster Klasse ein. Der Komponist selbst gab zu Protokoll, er wollte mit seiner Fünften Symphonie ein »Lied auf den freien und glücklichen Menschen anstimmen, seine schöpferischen Kräfte, seinen Adel, seine innere Reinheit«. Ungleich konkreter war der Eindruck, den das Werk bei seiner vorübergehend von Luftabwehr-Artilleriesalven aus dem Kreml unterbrochenen Uraufführung auf den Pianisten Swjatoslaw Richter machte: »Die Fünfte Symphonie«, so Richter, enthält »die Zeit und die Geschichte, den Krieg, das Vaterland und den Sieg.« Über Debussy sagte Richter hingegen, in dessen Musik gäbe es »keine persönlichen Gefühle. Sie wirkt stärker als die Natur selbst. Wenn man die See betrachtet, wird man keine so starken Sinneseindrücke haben wie beim Hören von La Mer.«
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