Kirill Petrenko dirigiert Strauss, Schostakowitsch und Norman
Chefdirigent Kirill Petrenko präsentiert zwei Werke, die ganz unterschiedlich das Ende des Zweiten Weltkriegs reflektieren. Auf der einen Seite Richard Straussʼ Metamorphosen: ein 23-stimmiges Klanggeflecht, das warm und transparent um eine verwüstete Welt trauert. Im Falle von Schostakowitschs Neunter Symphonie erhofften sich die sowjetischen Machthaber eine Siegessymphonie – erhielten jedoch ein quirliges, ironisches Werk, das sich allem Jubel verweigert. Von Andrew Norman hören wir zudem Sabina, ein Klanggemälde voller schillernder Lichtreflexe.
Richard Strauss schrieb seit einigen Jahren nur noch »Handgelenksübungen« für sich, sein eigentliches Schaffen hatte er längst für vollendet erklärt. Nach der Zerstörung des Münchner Nationaltheaters und nachdem auf Anordnung von Goebbels das gesamte Musikleben gestoppt worden war, lag Strauss’ Lebensinhalt in Trümmern. Mit den Metamorphosen verlieh er seiner Trauer Ausdruck. Am Schluss erklingt in den Bässen der Trauermarsch aus Beethovens »Eroica«, der Komponist setzte darunter die Worte »In memoriam!«. Was oder wen genau er damit meinte, bleibt mehrdeutig.
Auf Dmitri Schostakowitsch lasteten die Erwartungen eines sozialistischen Riesenstaates, der nach Kriegsgewinn eine Siegessymphonie mit Chor und Solisten hören wollte. Doch statt des von ihm selbst in Aussicht gestellten Jubelstücks lieferte Schostakowitsch als Neunte Symphonie eine ganz unheroische, schlank besetzte Musik. Klassischer hätten auch Haydn und Mozart so einen Sonatensatz nicht komponiert. Allerdings sprengen die Themen ihr Metrumgerüst, erzwingen verlängerte Takte und bringen die Musik ins Stolpern. Im langsamen Satz folgt auf jeden versuchten Aufschwung der Klarinette ein Ermatten; »morendo« – ersterbend – verklingt der letzte lange Ton der Piccoloflöte. Im Largo klagt das Fagott gegen herrische Blechbläser an; die überdrehte Fröhlichkeit im Finale wirkt argwöhnisch. So hatte man sich die Freude über den Frieden nicht vorgestellt. War Schostakowitschs Hymnenverweigerung nur Unvermögen oder gar verschlüsselter Protest eines Dissidenten? Stalin wusste sich keinen Reim zu machen, und das war fatal. Bald darauf musste der Komponist dies bitter bezahlen, mit einer Ächtung durch die sowjetische Kulturpolitik.
Andrew Norman hat schon mehrfach für die Stiftung Berliner Philharmoniker komponiert. Sabina entstand ursprünglich für Streichtrio und ist der letzte Satz von The Companion Guide to Rome: ein Zyklus, bestehend aus neun durch römische Kirchen inspirierte Miniaturen. Der Komponist hatte in der Morgendämmerung »die antike Kirche von Santa Sabina auf dem Aventin in Rom« besichtigt und beim Sonnenaufgang beobachtet, wie »das Licht durch die aufwendig eingefassten Fenster scheint« und sich »leuchtende Muster auf allen Marmor- und Mosaikflächen der Kirche« ergeben. In einer großen Steigerung wird in Sabina das Mischungsverhältnis der Töne von Klang und Geräusch immer neu austariert und dem wechselnden Lichteinfall nachgelauscht.
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