Simon Rattle dirigiert Strawinsky und Berio
Igor Strawinskys Pulcinella ist die vielleicht charmanteste Verschmelzung von Barockmusik und klassischer Moderne. Nach dieser Aufführung mit Simon Rattle schrieb ein Kritiker, der Dirigent sei hier »in seinem Element, arbeitet virtuos heraus, wie der Russe Rhythmen anschärft, den Energielevel anhebt.« In einer geistreichen Gegenüberstellung erklingt Luciano Berios Coro, in dem ebenfalls – aber ganz anders – Neues und Altes zusammenfließt.
Dass die Musik des 20. Jahrhunderts weitgehend frei von Sinnlichkeit sei, ist eine weit verbreitete Einschätzung. Sie wird an diesem Abend widerlegt, wenn Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker Luciano Berios Coro und Igor Strawinskys Pulcinella aufführen – Werke, die auf unterschiedliche Weise Modernität mit italienischer Verve verschmelzen. Im Falle von Coro erleben wir darüber hinaus eine Premiere, denn nie zuvor wurde das Werk von den Berliner Philharmonikern aufgeführt.
Coro reflektiert den Kosmos von Berios Schaffen so umfassend wie keine andere Komposition. Wie der britische Guardian schrieb, ist dies »ein Werk, in dem sich alle Qualitäten Berios auf engstem Raum finden: sein außerordentliches Gespür für die Möglichkeiten von Instrumenten und menschlicher Stimme, die originelle, unerwartete Kombination von Text und Musik. Die Musik in Coro ist leidenschaftlich, mitreißend und human.« Die Humanität zeigt sich nicht zuletzt in der die ganze Welt umspannenden Textgrundlage. Diese beruht auf unterschiedlichsten Volksdichtungen, unter anderem der Indianer, aus Polynesien, Kroatien und dem Iran.
Auch Igor Strawinskys Ballett Pulcinella baut auf älteren Vorbildern auf. Wie kaum zu überhören ist, bedient der Komponist sich verschwenderisch bei der Musik des Barock, vor allem bei Giovanni Battista Pergolesi, der durch sein Stabat Mater unsterblich wurde. Strawinsky formuliert Pergolesis Tonsprache entschieden um, setzt schärfende Dissonanzen – und bewahrt dennoch die tänzerische Grazie seines Vorbilds.
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