Karajan dirigiert Beethovens Fünfte Symphonie
»Ihre ersten 100 Fünften können Sie wegwerfen!«, sagte Karajan oft zu jüngeren Kollegen angesichts der enormen Schwierigkeiten dieser Beethoven-Symphonie. In diesem Mitschnitt von 1972 erleben wir demgegenüber eine entschiedene Interpretation aus Karajans Glanzzeit. Der Orchesterklang verbindet dabei die samtige Fülle, die bereits für seine Vorgänger typisch war, mit jener Brillanz und Kraft, um die Karajan die Berliner Tradition bereichert hat.
Wohl kein anderes Orchester hatte in den letzten 100 Jahren eine so enge Beziehung zu Beethovens Fünfter Symphonie wie die Berliner Philharmoniker. Auf Arthur Nikischs Pioniertat, der das Werk bereits 1913 für die Gramophone Company einspielte, und Wilhelm Furtwänglers gefeierte HMV-Aufnahme von 1937 folgten in der Ära Karajan eine ganze Reihe mindestens ebenso beeindruckender Bild- und Tondokumente.
Trotz seines Ausspruchs über die »ersten 100 Fünften« gibt es Belege dafür, dass Karajans eigene frühe Aufführungen der Symphonie bereits von bemerkenswerter Sicherheit zeugten. Im September 1938 setzte er das Werk bei seinem zweiten Konzert mit den Berliner Philharmonikern aufs Programm, und der seinerzeit führende Berliner Kritiker Heinrich Strobel zeigte sich begeistert von der rhythmischen Kraft und strukturellen Schlüssigkeit dieser Interpretation. Im April 1948 beschloss Karajan sein Debüt in London mit der Fünften, und bei der allerletzten Probe zu diesem Konzert forderte er das Orchester auf, die mächtigen C-Dur-Akkorde am Ende so kraftvoll wie möglich zu spielen, ohne dafür den schönen Orchesterklang zu opfern. Schließlich hatten Karajans Interpretationen immer ein Ziel, auf das sie unbeirrbar zusteuerten.
Seine erste Filmaufnahme der Fünften hatte Karajan 1966 mit den Berliner Philharmonikern in schwarz-weiß gemacht, als Teil der Serie Die Kunst des Dirigierens, für die er mit dem französischen Regisseur Henri-Georges Clouzot zusammenarbeitete. In späteren Jahren war Karajan dann, unterstützt von seinem Chefkameramann Ernst Wild, sein eigener Regisseur, und der vorliegende Film der Fünften aus dem Jahr 1972 basiert auf einem Livekonzert vor geladenem Publikum in der Philharmonie Berlin. Der Orchesterklang verbindet dabei eine samtige Fülle, wie sie typisch für Nikisch und Furtwängler war, mit jener Brillanz und jenem packenden Zugriff im Stile Toscaninis, um die Karajan die Berliner Tradition bereichert hatte.
© 1973 Unitel