Daniele Gatti dirigiert Strawinsky und Schostakowitsch
Igor Strawinsky verbindet in seinem Ballett Apollon musagète die heitere, lichte Atmosphäre der Klassik mit dem lässigen, urbanen Lebensgefühl der 1920er-Jahre. Dmitri Schostakowitsch wiederum schrieb seine Fünfte Symphonie in der Klangästhetik des 19. Jahrhunderts, als vordergründige Hommage an den Sozialismus. Doch seine Musik besitzt einen doppelten Boden: »Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen«, meinte der Komponist. »Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.«
Im sommerlichen Nizza hatte Igor Strawinsky 1927 die Idee, ein Ballett »ohne Intrigen« zu schreiben, »dessen choreografische Handlung sich aus dem Thema entwickelt«. Das Ergebnis, Apollon musagète, ist allerdings eine Handlung ohne Handlung: Apoll, der Führer der Musen, wird im Prolog geboren und anschließend von den Musen umringt, die nacheinander ihre Künste darbieten. Zum bestimmenden Thema wird die Kunst selbst – Strawinsky bekennt sich mit dieser Komposition für Streicher zu einem antiken Schönheitsideal, zu apollinischer Klarheit. »Es lockte mich«, so der Komponist, »eine Musik zu schreiben, bei der das melodische Prinzip im Mittelpunkt steht. Welche Freude, sich wieder dem vielstimmigen Wohllaut der Saiten hinzugeben und aus ihm das polyphone Gewebe zu wirken, denn durch nichts wird man dem Geist des klassischen Tanzes besser gerecht, als wenn man die Flut der Melodie in den getragenen Gesang der Saiten ausströmen lässt.«
Der sorglosen Heiterkeit des Balletts steht mit Dmitri Schostakowitschs Fünfter Symphonie ein wenig später entstandenes Werk gegenüber, dessen Rezeption buchstäblich über Leben und Tod entscheiden konnte. Eine offizielle Stellungnahme erwartete die Öffentlichkeit von Schostakowitsch, eine »schöpferische Antwort« auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Prawda, die seine Lady Macbeth von Mzensk als »Chaos statt Musik« gebrandmarkt hatte. In nur drei Monaten des Jahres 1937 verfasste Schostakowitsch seine Fünfte – auf den ersten Blick tatsächlich ein Werk im Sinne des »Sozialistischen Realismus«: monumental, volkstümlich und optimistisch. Aber wirklich nur auf den ersten – denn bei genauerer Betrachtung sind schon die ersten thematischen Gedanken äußert fragil, mitnichten »einfache und verständliche Melodien«. Das Monumentale entpuppt sich als Erscheinungsform des Brutalen, zum Beispiel dann, wenn ein zartes Thema der ersten Violinen zum grotesken, lärmenden Marsch entstellt wird. Schostakowitschs Musik führt die sozialistischen Forderungen nach Monumentalität und Volkstümlichkeit ad absurdum. Ohne jede Verschlüsselung exponiert das Largo eine schmerzerfüllte Klage, so ergreifend, dass der Siegesjubel des Finales schon vorab an Glaubwürdigkeit einbüßt. Über ihn äußerte Schostakowitsch in einem vertraulichen Gespräch: »Es gab doch nichts zu jubeln. Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen wie in ›Boris Godunow‹. So, als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: ›Jubeln sollt ihr, jubeln sollt ihr.‹«
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