Kirill Petrenko dirigiert Mendelssohn und Schostakowitsch
Mit diesem Programm führt uns Kirill Petrenko zunächst nach Großbritannien. Inspiriert von einer Schottland-Reise verfasste Mendelssohn seine atmosphärisch dichte Dritte Symphonie. Auf ganz andere Art programmatisch ist Schostakowitschs Zehnte Symphonie – die erste, die er nach Stalins Tod schrieb. Mit einer bedrückenden, oft grotesken Musik macht der Komponist die Repressalien der Stalin-Zeit fühlbar, ehe er mit einem Satz voller Hoffnung schließt.
Unter der Herrschaft Stalins musste sich in der Sowjetunion jegliche Kunstproduktion der Kontrolle der Kommunistischen Partei und ihrer Behörden unterziehen. Schon der kleinste Verdacht auf Nonkonformität genügte den Zensoren, um ein Werk zu verbieten. 1936 beendete so die wahrscheinlich von Stalin persönlich veranlasste Verurteilung der Lady Macbeth von Mzensk Schostakowitschs Karriere als Opernkomponist. Wenige Jahre später erwies sich dann auch die vermeintlich unpolitische Gattung der Symphonie als zu riskant: Die 1945 uraufgeführte und zunächst erfolgreiche Neunte Symphonie führte zu einer neuerlichen offiziellen Verurteilung des Komponisten. In den Folgejahren veröffentlichte Schostakowitsch einige verbale und musikalische Lippenbekenntnisse im Sinne des Regimes, schrieb seine wichtigeren Werke für die Schublade und musste sich in einem Privatkurs über die angeblich »wissenschaftliche Tätigkeit« Stalins aufklären lassen. Schostakowitschs Zehnte Symphonie wurde erst nach dem Tod des Diktators im Dezember 1953 uraufgeführt. Laut der posthum veröffentlichten und teilweise umstrittenen Memoiren des Komponisten stellt der zweite Satz ein Porträt Stalins dar. Unverkennbar inszeniert das Werk einen Kampf zwischen kollektiven Gewalten und dem Individuum, das wie so oft bei Schostakowitsch durch die eigenen Ton-Initialen D-(E)S-C-H repräsentiert wird. Die bedrohliche Stimmung lichtet sich im letzten Satz, aus dem die Hoffnung auf eine bessere Zukunft herauszuhören ist.
Eine ähnliche Dramaturgie, die von anfänglicher Düsternis zu einem optimistischen Finale führt, lässt sich auch in Mendelssohns Dritter, der sogenannten »schottischen« Symphonie erkennen. Der Komponist veröffentlichte das Werk zwar ohne Beinamen, hatte aber bereits in einem Brief aus dem Jahr 1829 von der Arbeit an einer schottischen Symphonie berichtet. Von den ersten Inspirationen, die Mendelssohn unter anderem bei seinem Besuch des Holyrood Palace in Edinburgh empfangen hatte – hier residierte zeitweilig die schottische Königin Maria Stuart –, dauerte es bis zur Uraufführung des Werks allerdings 13 Jahre. Als wahrscheinlich gewichtigster Gattungsbeitrag des Komponisten weicht diese Symphonie in einigen Punkten deutlich vom klassischen Modell ab: So folgen die vier Sätze ohne Unterbrechung aufeinander. Das Thema der ungewöhnlich ausgedehnten Einleitung wird im Übergang zum zweiten Satz zitiert und im Scherzo verzichtet Mendelssohn auf den Einschub eines kontrastierenden Trio-Teils. Das Adagio gehört mit seinem weit ausschwingenden, in der Reprise von den Celli angestimmten Hauptthema zu den schönsten Sätzen der Romantik.
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