Herbert von Karajan und Evgeny Kissin im Silvesterkonzert 1988

Es lag etwas ganz Besonderes in der Luft, als Evgeny Kissin zum ersten Mal vor den Berliner Philharmonikern am Flügel Platz nahm. Herbert von Karajan hatte den damals 17-Jährigen zum Vorspiel eingeladen und ihn spontan für das prestigeträchtige Silvesterkonzert engagiert. Auf dem Programm stand Peter Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1, das der Komponist selbst einmal als eines seiner »Lieblingskinder« und zugleich als »ungewöhnlich schwierig« bezeichnet hatte.

Über die gemeinsame Interpretation und Karajans auffällig langsame Lesart berichtet Kissin: »Er mochte einfach nicht, wie man dieses Konzert bisher aufgeführt hatte – zu schnell, zu hastig, meinte er – und so kam es zu diesen extrem langsamen Tempi. Ich denke, seine Auffassung hing wohl von seinem damaligen Alter ab. Er war schon über 80 und suchte wohl das andere Extrem. Aber mit keinem anderen Dirigenten konnte ich etwas derartig Neuartiges schaffen. Dieser Tschaikowsky war schon ungewöhnlich, gewöhnungsbedürftig, aber dennoch sehr aufregend. Denn Karajan war auch zu diesem Zeitpunkt noch fähig, diese Musik mit jeder Faser seiner Persönlichkeit zu füllen.«

Vor der Pause widmete sich Karajan der Symphonie classique, die Sergej Prokofjew erklärtermaßen »wie Haydn oder Mozart, wenn sie im 20. Jahrhundert gelebt hätten« schreiben wollte. Dem klassischen Klangbild frönt die vor Esprit überschäumende Musik allerdings nur in der Art einer inszenierten Maskerade – immer wieder wird es von überraschenden Verschiebungen in der Harmonik konterkariert.

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