John Eliot Gardiner dirigiert Strawinsky
Mit diesem Strawinsky-Abend kehrte Sir John Eliot Gardiner nach 14-jähriger Abwesenheit zu den Berliner Philharmonikern zurück. Im Zentrum stand das Opern-Oratorium Oedipus Rex, dessen archaische Wucht unüberhörbar Carl Orff bei der Komposition seiner Carmina Burana inspiriert hat. Auch das Ballett Apollon musagète greift auf ältere Musik zurück – beschwört aber in seiner lichten, barocken Grazie eine gänzlich andere Klangwelt.
Mit Oedipus Rex schuf Igor Strawinsky ein zentrales Werk des Neoklassizismus – ein rituelles Drama mit lateinischem Text, das die von Sophokles überlieferte Geschichte jenes verzweifelten Helden der Antike erzählt, der unwissentlich seinen Vater umbringt und ohne es zu ahnen seine Mutter heiratet. Kurt Weill hob die »oratorienhafte Form« der aus Rezitativen und Arien sowie Duetten und Chorstücken bestehenden Komposition mit statischem Handlungsverlauf hervor – »die eindeutige Absage an die Form des Musikdramas« und »die Aufnahme eines rein gesanglichen Opernstils, in dem die Handlung, Dramatik und optische Bewegung völlig zurückgedrängt sind zugunsten einer rein musikalischen Formgebung«. (»Die strenge Form dieser Sprache hat an sich schon so viel Ausdruckswert, dass es nicht nötig ist, ihn durch die Musik noch zu verstärken«, erklärte Strawinsky.)
Sir John Eliot Gardiner ist ein international renommierter Repräsentant der historisch informierten Aufführungspraxis mit denkbar breiter Repertoirebasis, die bis weit ins 19. und sogar 20. Jahrhundert hineinreicht. Darüber hinaus hat er sich auch immer wieder dem Werk Strawinskys und dessen zwischen den Gattungen changierender Musik gewidmet. Auch zu Beginn des Konzerts erklingt ein neoklassizistisches Meisterwerk: Strawinskys Apollon Musagète (Apollon, Führer der Musen), in dem es nach einem Prolog, der mit äußerst filigraner Musik die Geburt des antiken Gottes schildert, zu einer Reihe von allegorischen Tänzen »im hergebrachten Stil des klassischen Balletts (Pas d’action, Pas de deux, Variations, Coda)« (Strawinsky) kommt.
Anschließend führt Apollon die Musen auf den Parnass: »Aus Bewunderung für die lineare Schönheit des klassischen Tanzes«, betonte der Komponist, »hatte ich mich für die strenge Form des Balletts entschieden, und dabei dachte ich vor allem an das ›Ballet blanc‹, bei dem sich meiner Ansicht nach das Wesen dieser Kunst am klarsten offenbart.« Der konfliktlosen Handlung entspricht der Verzicht auf dissonante Härten bei Verwendung eines reinen Streichorchesters; der sonst übliche Gegensatz der Instrumentalfarben wird durch dynamische Kontraste ersetzt – ein Verfahren, das Strawinsky bereits in seinem Pulcinella-Ballett erprobt hatte.
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