Simon Rattle und Emanuel Ax
»Neue Welten auf der Erde, im Himmel oder im menschlichen Denken«: All das wollte Edgard Varèse in seinen berühmten Amèriques vermitteln. Eine ähnliche Absicht ist in diesem Konzert mit Simon Rattle und Emanuel Ax erkennbar. Da gibt es bekannte Werke von Debussy, Ravel und Franck, die aber durch die Gegenüberstellung mit Entdeckungen, etwa von Betsy Jolas und Percy Grainger, in neuem Licht erstrahlen – eine aufregende musikalische Reise.
Die Uraufführung von Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune gilt als Geburtsstunde des musikalischen Impressionismus. Zugrunde liegt dem rund zehnminütigen Orchesterwerk ein 1876 mit einer Illustration von Édouard Manet veröffentlichtes Gedicht des von Debussy bewunderten Lyrikers Stéphane Mallarmé. Der Tänzer Vaclav Nijinsky legte die Komposition 1912 einer seiner skandalträchtigen Choreografien für die epochemachenden Ballets russes zugrunde.
Für einen Skandal ganz anderer Art sorgte 1889 Musik von César Franck: »Was ist das für eine d-Moll-Symphonie, bei der das erste Thema im neunten Takt nach Des, im zehnten nach Ces, im einundzwanzigsten nach Fis, im fünfundzwanzigsten nach C, im neununddreißigsten nach Es, im neunundvierzigsten nach F moduliert?«, fragte Ambroise Thomas in tauber Empörung, nachdem er der Uraufführung der einzigen Symphonie seines belgisch-stämmigen Komponistenkollegen beigewohnt hatte. Drei Jahre zuvor hatte Franck Symphonische Variationen für Klavier und Orchester komponiert. Hört man dieses Werk heute, so erfreut man sich an seinem harmonischen Reichtum ebenso wie an seiner einfallsreichen Formgebung.
Ein halbes Jahrhundert nachdem Franck Paris eroberte, um als Komponist Anerkennung zu finden, übersiedelte der in der Seine-Metropole geborene Edgard Varèse nach New York. Mit der Orchesterkomposition Amériques setzte er seiner Wahlheimat ein musikalisches Denkmal, ohne darüber seine europäischen Wurzeln zu leugnen. Außerdem zu entdecken gilt es in diesem Konzert die ebenfalls in Frankreich und den USA gleichermaßen beheimatete Betsy Jolas, bei der Sir Simon und die Berliner Philharmoniker ein kurzes neues Orchesterstück in Auftrag gegeben haben, sowie den Australier Percy Grainger. Besonderer Kniff dieses raffiniert zusammengestellten Programms: eine Gegenüberstellung von Maurice Ravels Klavierkomposition La Vallée des cloches mit Graingers Orchestrierung desselben Stücks. Wenn Sir Simon und Emanuel Ax gemeinsam ein Konzert gestalten, ist eben immer für Überraschungen gesorgt ...
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