François-Xavier Roth und Tabea Zimmermann
Die Musik von Paul Hindemith liegt Tabea Zimmermann sehr am Herzen. Es ist also kein Wunder, dass sie als Artist in Residence der Saison 2020/21 dessen Bratschenkonzert Der Schwanendreher aufführte. Den eigenartigen Titel verdankt das Werk einem Volkslied, dessen Melodie dem dritten Satz zugrunde liegt. Auch Béla Bartók ließ sich in seinem Divertimento von Volksmusik inspirieren. Sein Werk ist rumänischer und ungarischer Tanzmusik nachempfunden. Eröffnet wird das Programm, das François-Xavier Roth leitet, mit Carl Philipp Emanuel Bachs Erster Symphonie, die bereits unüberhörbar auf die Wiener Klassik vorausweist.
Sprach man im 18. Jahrhundert vom »großen Bach«, war nicht etwa Johann Sebastian, sondern dessen europaweit bekannter Sohn Carl Philipp Emanuel gemeint. Dessen kompositorische Originalität drückt sich besonders in schroffen Kontrasten, harmonischen Kühnheiten und überraschenden Melodieverläufen aus. So auch in seinen 1775/76 entstandenen vier letzten Symphonien, in denen er das Streichorchester – im Sinne der Expressivität des Sturm und Drangs – um leuchtende Bläserfarben erweiterte.
»Es scheint mir ebenso unmöglich, gegen den zu meiner Diffamierung aufgebotenen Apparat anzurennen, wie unwürdig, mich zur Verteidigung meiner Arbeit auf die gleiche Ebene zu begeben. Ich verlasse mich auf die Kraft, die der Inbegriff meines Lebens ist: die Musik«, schrieb Paul Hindemith 1934. Unmittelbar zuvor hatte Joseph Goebbels ihn öffentlich als »atonalen Geräuschemacher« gebrandmarkt; dem Bratscher und Komponisten drohte das Berufsverbot in Deutschland. Äußerlich bot er zusammen mit prominenten Unterstützern wie Wilhelm Furtwängler den Anfeindungen die Stirn – im Stillen plante er seinen Abschied, den sein 1935 komponiertes Violakonzert Der Schwanendreher ankündigt. Aus den altdeutschen Volksweisen, über die Hindemith als »Spielmann«, wie er in der Vorrede erklärt, »präludiert und phantasiert«, gibt die Solobratsche im Verlauf des Stücks die vielsagenden Verse wieder: »Glück liegt in allen Gassen« (1. Satz) – »Nicht länger ich’s ertrag« – »Hab gar ein’ traurig’ Tag« (2. Satz). Im Sommer 1938 emigrierte Hindemith in die Schweiz.
Er fühle sich »wie ein Musiker einer alten Welt, den sein Mäzen eingeladen hat«, schrieb Béla Bartók, als er 1939 den Dirigenten und Unternehmer Paul Sacher in den Schweizer Bergen besuchte, um dort in dessen Auftrag ein Divertimento für Streichorchester zu komponieren. Eine alte, vergangene Welt öffnen auch die Ecksätze des dreiteiligen Werks. Tänzerisch, teils hörbar von Bartóks Volksmusikstudien inspiriert, knüpfen sie einerseits an Mozarts unterhaltsame Divertimenti an, andererseits im Wechselspiel von Soli und Tutti an das barocke Concerto-grosso-Prinzip. Als extremer Kontrast steht in der Mitte ein düsteres Molto adagio, in dem der wenige Tage später ausbrechende Zweite Weltkrieg seine Schatten vorauszuwerfen scheint. Das Divertimento sollte das letzte Werk sein, das Bartók in Europa schrieb – 1940 floh er in die USA.
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